Marktbericht KW 42: Showdown in Washington – Gold gewinnt als „sicherer Hafen“ wieder an Bedeutung

Jahrelang war es nur eine abstrakte Gefahr und ein unwahrscheinliches Szenario – inzwischen liegt der Staatsbankrott der Vereinigten Staaten von Amerika nur noch weniger als 48 Stunden entfernt. Wenn sich US-Präsident Barack Obama nicht bis Donnerstag mit den Republikanern auf eine Lösung des Haushaltsstreits einigt, ist die wichtigste Wirtschaftsmacht der Welt schon bald zahlungsunfähig – und was dann folgt, ist an Dramatik kaum zu überbieten: Rechnungen werden nicht mehr bezahlt, das Vertrauen in den US-Dollar sinkt, Aktienmärkte rund um die Welt brechen ein. Wochenlang war keine Bewegung im Streit zwischen Demokraten und Republikanern zu bemerken – und trotzdem feiern die Anleger eine Aktienparty, als stünde am Donnerstag kein Staatsbankrott bevor, sondern der Beginn eines Wirtschaftsbooms.

Tatsächlich dürfte der „government shutdown“ die leichte Erholung der US-Wirtschaft erneut bremsen. Die Auswirkungen der automatischen Einsparungen sind ein Armutszeugnis für eine stolze Weltmacht – US-Präsident Obama musste gleich mehrere Auslandsreisen wegen Geldmangels absagen, sogar die Umsetzung von Sanktionen gegen den Irak musste vertagt werden. Wichtige Marktzahlen wie die Arbeitslosendaten werden zurückgehalten und die Krise erreicht immer mehr regierungsnahe Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen können und in den Zwangsurlaub schicken müssen. Inzwischen nehmen am heutigen Dienstag die Hoffnungen auf eine „Lösung“ des Etatstreits in den USA wieder zu. Der Kompromiss, der zuletzt im Raum stand, dürfte das Problem allerdings nur verschieben – die Regierung soll bis 15. Januar finanziert werden, das Schuldenlimit soll bis 7. Februar angehoben werden. Seit Wochen wird der Staatshaushalt nur durch Bilanztricks über Wasser gehalten – diese Schummelei würde mit dem derzeit wahrscheinlichen Kompromiss nur fortgesetzt werden.

Warum die meisten Marktbeobachter immer noch auf eine Fortsetzung der Erholung der Wirtschaft setzen, ist schwer verständlich. Immerhin würde laut einer Berechnung von Moody’s Analytics für CNN ein drei- bis vierwöchiger Shutdown die US-Wirtschaft ungefähr 55 Milliarden Dollar kosten – so viel wie die wirtschaftlichen Folgen des Hurikans Katrina und Supersturms Sandy zusammen. Im Falle eines zweiwöchigen Stillstands könnte das Wachstum bereits um 0,3 Prozentpunkte geschmälert werden – aktuell dauert der „shutdown“ bereits zwei Wochen an. Bei drei bis vier Wochen würde das Wachstum sogar um 1,4 Prozent abnehmen. Wenn sich der Stillstand über mehr als zwei Monate hinzieht, ist eine Rezession so gut wie unvermeidlich.

Obwohl ein „sicherer Hafen“ derzeit so wichtig wie noch nie in den vergangenen Jahren war, zögern viele Anleger noch beim Kauf von Gold und Silber. Dabei laden die niedrigen Preise gerade zum Nachkaufen ein, nicht zuletzt nachdem immer mehr Marktbeobachter den Edelmetallen eine goldene Zukunft voraussagen. Der Commerzbank-Analyst Eugen Weinberg machte gerade erst klar: „Gold ist übertrieben billig“. Der Schweizer Anlageexperte Felix Zulauf erwartet das Auslaufen der zyklischen Gold-Baisse in den nächsten sechs bis neun Monaten und eine neue Goldhausse ab Mitte 2014.

Unterstützung dürfte der Goldpreis auch aus Europa bekommen, denn die schlechten Nachrichten aus den Krisenländern der Eurozone reißen nicht ab. So hat die griechische Regierung gerade angekündigt, einen Großteil ihrer Kredite bei internationalen Geldgebern auf bis zu 50 Jahre strecken zu wollen. In den kommenden Jahren brauchen die Griechen weit mehr als zehn Milliarden Euro an zusätzlichen Hilfen. Ein weiteres Hilfspaket für Griechenland steht im Jahr 2014 bevor – davon gehen beispielsweise die Wissenschaftler des Instituts für Wirtschaftsforschung aus. Bis zum Ende des Jahres wird Griechenlands Verschuldung auf 322 Milliarden Euro steigen, das entspricht 175,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bisher haben die internationalen Geldgeber die Griechen mit 240 Milliarden Euro unterstützt. Wie schlimm es um die griechischen Staatsfinanzen bestellt ist, zeigt eine aktuelle Meldung: Demnach lässt sich das pleitebedrohte Griechenland die aufwendige Militärparade zum Nationalfeiertag sponsern – eine Industriellenfamilie bezahlt den Treibstoff, damit die Panzer rollen können.

Und die Griechen sind nicht die einzigen Sorgenkinder in der Eurozone, auch Portugal und Irland kommen nicht ohne weitere Hilfskredite aus dem Euro-Rettungsschirm aus. Portugal darf sich in den nächsten Wochen Kredithilfen von 3,7 Milliarden Euro freuen, vom Internationalen Währungsfonds (IWF) kommen zusätzlich 1,9 Milliarden Euro. Irland erhält von seinen Partnern aus Europa zusätzliche 2,3 Milliarden Euro sowie 0,8 Milliarden Euro aus Mitteln des IWF. Portugal und Irland sind allerdings noch vergleichsweise kleine Schuldensünder, dagegen wird ein gewaltiger Problemfall völlig vergessen: Italien geht von einem Einbruch der Wirtschaft um 1,7 Prozentpunkte aus, bislang war ein Rückgang um 1,3 Prozentpunkte anvisiert worden. Die Italiener sitzen auf einem Schuldenberg von über 2000 Milliarden Euro, die Staatsverschuldung liegt inzwischen bei 132,9 Prozent, Italien ist also auf dem besten Weg zu griechischen Verhältnissen.

Während in den USA die Spannung vor Donnerstag immer stärker zunehmen wird, bieten die Amerikaner ein weiteres Argument für Gold: Der Führungswechsel bei der US-Notenbank von Ben Bernanke zu Janet Yellen dürfte auch eine Fortsetzung der Politik des billigen Geldes bedeuten. Denn wenn die bisherige FED-Vizepräsidentin Janet Yellen im Januar 2014 die Führung der Notenbank übernimmt, wird aller Voraussicht nach der bisherige Kurs des Geldvermehrens fortgeführt werden. Immerhin gilt Yellen als „Taube“, also als eine Anhängerin der Politik des negativen Realzinses als Reaktion auf die Schuldenkrise. Die dauerhafte Sorge vor einem Ende der ultralockeren Geldpolitik wird also auch im neuen Jahr unberechtigt sein.

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