Marktbericht KW 38: FED-Entscheidung befördert Zocker-Party: Die nächste Blase wird keine Gold-Blase sein

Gestern um 20 Uhr war der Moment gekommen, auf den Edelmetallbesitzer seit Monaten gewartet hatten: Monatelang galten sie als die Verlierer des Investment-Jahres, immer wieder hatten sie mit einem Schreckgespenst zu kämpfen – dem Ende der geldpolitischen Lockerungen in den USA. Faktisch gab es für diesen Schritt keine Gründe – die US-Wirtschaft hatte sich kaum erholt, ebensowenig die Arbeitslosenquote oder der Schuldenstand der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt. Trotzdem wurde eine Zinswende heraufbeschworen, befeuert durch die Andeutungen des FED-Präsidenten Ben Bernanke im Juni.

Am gestrigen Abend sind die Finanzmärkte auf den harten Boden der Tatsachen zurück gestürzt. Anstelle eines Ausstiegs aus dem als „quantitative easing“ bekannten Geldspritzeneinsatzes hat Ben Bernanke gestern deutlich gemacht, dass es auf absehbare Zeit keine Alternative zum ultralockeren Geld gibt. Die Wirtschaft wird also noch lange vom billigen Geld abhängig sein. Die FED wird weiterhin Geld drucken und für 85 Milliarden Dollar monatlich Anleihen kaufen. Eine Normalisierung der Geldpolitik wird es auf lange Sicht also nicht geben, eine Zinswende ist in weite Ferne gerückt. Begeistert sind vor allem die Investoren – sie können weiter mit billigem Geld zocken und die Aktienmärkte auf neue Rekordstände katapultieren.

Erst vor wenigen Monaten hatte Bernanke angedeutet, dass ein Ende des billigen Geldes bei einer Erholung der US-Wirtschaft näher rückt. Viele Anleger erwarteten somit auch steigende Zinsen – ein Kursrutsch an den Aktienmärkten und eine heftige Abwertung von Gold und Silber war die Folge. Besonders stark fiel der Rutsch in Schwellenländern wie Indien oder Brasilien aus. Doch das Zeichen der FED, dass eine Welt ohne Geldspritzen der Notenbanken bevor stand, sorgte für eine regelrechte Hochstimmung bei Sparern und Anlegern.

Umso heftiger fällt die Überraschung der Finanzwelt über den Verlauf des gestrigen Abends aus. Denn die Zahlen, die Bernanke gestern präsentiert hatte, waren eigentlich keine Neuigkeit: Die Arbeitslosenquote sei mit 7,3 Prozent noch immer zu hoch, der Leitzins werde jedoch erst erhöht, wenn die Arbeitslosenquote unter 6,5 Prozent gefallen sei. Neu ist jedoch die Einschätzung der FED zur Entwicklung der US-Wirtschaft – diese sei in den vergangenen Monaten nur „mäßig“ gewachsen und werde künftig niedriger liegen als prognostiziert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt nur noch um 2,0 bis 2,3 Prozent steigen und damit um 0,3 Punkte weniger als im Juni vorausgesagt. Auch im neuen Jahr liegt die Prognose zwischen 0,1 bis 0,4 Prozentpunkten unter der Prognose aus dem Juni, die unter anderem die Goldpreise unter Druck gesetzt hatte.

Für Edelmetallbesitzer machte sich dieses neue Verhältnis der FED zur Realität am gestrigen Abend in barer Münze bezahlt – Gold verteuerte sich zeitweise um vier Prozent, Silber stieg sogar um etwa fünf Prozent. Der Goldpreis hat sich oberhalb der 1000-Euro-Marke pro Feinunze stabilisiert und nimmt nun Anlauf auf eine Herbstrallye. Zuvor hatten Gold und Silber bereits einen Teil ihrer Verluste wieder wettgemacht. Und die Argumente für Gold nehmen an Bedeutung zu – denn während der Goldpreis dieses Jahr stark gelitten hat, fand auf den Aktienmärkten eine nie da gewesene Party statt. Immer mehr Marktbeobachter befürchten hier nun eine Blasenbildung. An den globalen Finanzmärkten werden neue Übertreibungen entstehen – denn jetzt ist offensichtlich, dass die US-Wirtschaft ohne die Geldspritzen sofort zusammenbrechen würde. Spätestens, wenn mit einer Rücknahme des „quantitative easing“ begonnen wird, dürfte ein großer Absturz auf den Aktienmärkten bevor stehen.

Am kommenden Wochenende wird mit der Bundestagswahl in Deutschland eine weitere Richtungsentscheidung bevor stehen – CDU und SPD stehen sich bei der Strategie zur Euro-Rettung gegenüber und ein Schuldenschnitt für Griechenland wird immer wahrscheinlicher. Dass Griechenland weitere Milliarden braucht, räumen inzwischen sogar führende Unionspolitiker ein. Im Moment wird ein Schuldenschnitt noch vermieden, allerdings werden die geplanten Zinssenkungen für Griechenland nur einen Bruchteil der Schulden kompensieren, wie SPIEGEL ONLINE jüngst ausgerechnet hatte.

Doch Griechenland ist nicht das einzige Problem der Euro-Zone – die Staaten-Union wird immer mehr zu einer großen Problem-Zone: Gerade erst wurde bekannt, dass die Schulden Spaniens stärker als erwartet steigen. Finanzexperten vermuten, dass sich der Schuldenstand noch mindestens drei Jahre erhöhen wird und die Marke von 100 Prozent übertreffen könnte. Italien und Frankreich erhielten grad vernichtende Zeugnisse mehrerer Rating-Agenturen. „Die letzten Wirtschaftszahlen zu Italien sind nicht positiv“, hatte EU-Kommissar Olli Rehn jüngst bekräftigt.

Edelmetallbesitzer dürften vor diesem Hintergrund deutlich entspannter in die Zukunft schauen. Denn die Zocker, die auf einen fallenden Goldpreis gewettet haben, befinden sich in einer misslichen Lage: Wenn nach den Leerverkäufen, die praktisch wie eine Wette auf einen sinkenden Goldpreis funktionieren, wider Erwarten der Goldpreis steigt, müssen die Leerverkäufer das „leerverkaufte“ Gold zurückkaufen, um ihre Verluste zu begrenzen. Und wenn viele Leerverkäufer gleichzeitig Gold kaufen, kann ein Nachfrageüberhang entstehen, was den Goldpreis nach oben treibt. Und aktuell sehen sich vor allem Leerverkäufer genötigt, größere Mengen Gold zu kaufen, um ihre offenen Positionen „glattzustellen“. Wer sein Gold nicht verkauft hat, darf sich nun über einen goldenen Herbst freuen.

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